Donnerstag, 31. Mai 2012

MEGA-SIMULACRO

Wir erinnern uns:
Vor zwei Jahren starkes Erdbeben in Chile, nur als 27 F bezeichnet, wegen internationaler Verständigungsschwierigkeiten wird kein Tsunami-Alarm ausgelöst, Menschen ertrinken im Süden  und Häuser werden weggeschwemmt. Kurze Zeit später, der neue  Präsident wird gerade inthronisiert, Nachbeben. Jetzt aber auch Tsunamialarm, Herzogin Du erinnerst Dich?, Chaos total.
Muss man wohl üben,diese Evakuierungen. Seit Wochen fiebern wir dem 28. Mai entgegen, da soll es das Mega simulacro geben. Zwei Tage vorher Tischgespräch: gehst Du mit, lässt Du Dich evakuieren, nein, bin im 3. Stock, da kommt die Welle nicht hin, ich bin im 11., da passiert nichts. Und wenn die Erde vorher ordentlich bebt? Ach was , die heftigen Beben kommen alle 20 Jahre, ach ja? 1960, 1985, 2007, 2010, 2012, wir rechnen, naja, langes Land... So, also Tag bekannt, Tageszeit nicht, sickert aber durch, weil Carabinieros durch die Küstenstrassen schlendern und eine Bank ein Wapperl an die Tür gehängt hat wann wegen simulacro geschlossen ist. Ich war zur fraglichen Zeit in der Nähe der Küste, eigentlich auf dem Weg zur Yogastunde.
Der Alarm beginnt, die Sirenen sind aber sehr schlecht zu hören. Viele Menschen bleiben in den Häusern, gehen vielleicht in die oberen Stockwerke, erinnert man sich nicht an den japanischen Tsunami?, wir spielen doch bloß. Schlendernden Schritts wandern wir bergwärts, is ja alles sooo lustig. Autos fahren vorbei, hoffentlich nehmen sie im Ernstfall jemanden mit. Eine Uni evakuiert mit Bussen, hoffentlich haben sie die dann zur Verfügung. Nach ner halben Stunde ist der Spass beendet. Fazit: Im Ernstfall wären 80000 Menschen umgekommen in der Region, muss man vielleicht öfter unangesagt üben.....Die ambulanten Händler haben jedenfalls gute Geschäfte gemacht.




Dienstag, 1. Mai 2012

BESUCH AUF DER ESMERALDA









Was den Deutschen die “Gorch Fock”, das ist den Chilenen die „Esmeralda“ – nein, noch viel mehr, es ist ihr Segelschulschiff und der ganze Stolz, nicht nur der Marine, sondern der ganzen Nation. Und wenn sie in ihrem Heimathafen Valparaiso ankommt, dann steht die Bevölkerung Spalier und klatscht begeistert. Dabei ist das Schiff noch gar nicht so alt: 1947 begann man im nach-Bürgerkriegs-armen Spanien, in Cadiz mit dem Bau, doch eine Explosion in der Werft verzögerte nicht nur die Fertigstellung der Viermastbark, sondern verursachte den Konkurs der ganzen Werft. Der spanische Staat, selbst wirtschaftlich schwächlich und von Auslandsschulden geschüttelt, sprang ein. Und hier setzte nun die chilenische Diplomatie an. Man könnte ja das schmucke Schiff in Zahlung nehmen, für die aufgelaufenen unbezahlten Kosten für den unersetzlichen Chile-Salpeter, der die dürren Felder Spaniens befruchten half. Kaum waren drei Jahre an Verhandlungen und Feilschen vorbei, schwamm das Schiff gen Westen. Hier in Chile erhielt es dann auch seinen phantasie-anregenden Mädchen-Namen. Hören sonst die Schiffe hier auf englische Namen, dass man meinen könnte, bei der Royal Navy zu sein (Condell, Cochrane Lynn), so setzt die jetzige „Esmeralda“ eine Tradition in 4. Generation fort, die die Linie heroischer Seeschlachten beschwört. Die erste ihres Namens hatte man noch den Spaniern abgenommen (1820),
Der Grund, warum  das ales erzählt wird, liegt darin, dass wir, das heiβt mir als Lehrer und 20 Schülern das Privileg zuteil wurde, an einer Tagesfahrt dieses Segelschulschiffs teilzunehmen. Zu verdanken haben wir das dem 2. Kapitän des Schiffs, der zufällig Schülervater ist, und uns eingeladen hat. Also wähle ich als Zielgruppe für dieses Zuckerl meine SMV und bestelle sie auf 7.30 Uhr an die Mole im Hafen von Valparaiso. Dorthin gelangt man nur nach militärischen Kontrollen (harmlos) und wandert vorbei an allerhand grauen Kriegsschiffen. Am äuβersten Ende des Piers liegt das Schiff vor Anker und auf ihm herrscht lebhaftes Treiben. Da ist ein Kommen und Gehen , Waren werden noch angeliefert, Kabel gezogen etc. Wer nicht da ist, sind meine Schüler! Kapitän zur See Raddatz lädt mich gleich in seine gemütliche Kajüte ein und stellt mich dem deutschen Leutnant Koch vor, der als Delegierter der Bundesmarine einen Teil der kommenden Weltumseglung der „Esmeralda“ mitmachen soll. Auβer uns sind noch ca. 300 weitere Menschen an Bord, so dass es überall nur so wuselt und wimmelt. Denn das Schiff hat eine Stammbesatzung und eine Besatzung aus Kadetten, also jungen Menschen der Escuela Naval, die jetzt erstmals ihr Können unter Beweis stellen sollen. Seit 2 Jahren gibt es auch Kadettinnen, eine Innovation, die geradezu revolutionär war und auf dem Schiff Umbauten verlangte.
Unser Tagesprogramm sieht denn auch vor, dass die Kadetten ihr Können zeigen und sich auf die Abschiedszeremonie am Wochenende vorbereiten: der Präsident persönlich wird das Schiff zu seiner Fahrt um die Welt verabschieden.
Zunächst muss unser Schiff von zwei Schleppern aus dem Hafen bugsiert werden,meine Schülerinnen und Schüler sind inzwischen mit der üblichen Verspätung eingetroffen, die mitgeführte Militärkapelle spielt sehr deutsch anmutende Gesänge, die angetretenen Matrosen singen mit,  und  dann bewegt es sich gemächlich, angetrieben von einem MAN-Motor in die Bucht von Valparaiso hinaus – und schon beginnt ein gleichmäβiges, aber durchaus intensives Schaukeln, dass mich Landratte durchaus zwingt, mich  auf Deck festzuhalten. Die ersten Mädels werden blass...
Die Matrosen treten jetzt an und üben endlos die verschiedenen Formen der Ehrbezeigungen und  Formationen, was für den Nicht-Eingeweihten ziemlich kryptisch und  bedeutungslos bleibt. Viel spannender wird es, als das Schiff sich in den Wind stellt und der Befehl  zum Aufentern erfolgt: 80 Kadetten klettern die Wanten des Schiffs hinauf, in schwindelnde Höhe, völlig ungesichert auf 30-40 Meter. Erst in den Rahen gibt es ein Trittseil und ein System der Seilsicherung, das die Absturzgefahr begrenzen soll. Nun müssen die Segelschnüre gelöst werden, auf dass sich die Segel öffnen können. Dazu müssen Gruppen von Matrosen an Deck mit Seilwinden (Motor und von Hand) unter groβem Kraftaufwand mit viel Hauruck die Segel in Position ziehen. Und siehe, schon treibt der Wind uns quer durch die Bucht, die Campana erhebt am Horizont ihr Haupt und die Hochhäuser von Viña verschwinden im Dunst. Doch keine Zeit für Beschaulichkeit, schon heiβt es wieder „Segel reffen!“ – wir sind ja zu Übungszwecken hier! Und nun beginnt eine noch gröβere Maloche: die Segel müssen nicht nur hochgezogen , sondern auch noch gleichzeitig schön gefaltet und festgebunden werden – und das alles ohne Handschuhe und bei jedem Wetter! Sie haben es geschafft und dürfen runter, um Mittagspause zu machen.
In der Mannschaftsmesse, dem einzigen Aufenthaltsraum, drängen sich die Leute, verstärkt durch meine Schüler. Es gibt eine frugalen Linseneintopf. Mich dageggen hat man an den Tisch von Kapitän Lüttges bestellt, wo wir mit anderen Gästen von Matrosen bedient werden. Unter den Augen von Arturo Prat tafeln wir im plüschigen Ambiente und konversieren über die Ausbildung, das Schiff, die bevorstehende Reise und vieles mehr. Klar, dass wir auch nicht Linseneintopf speisen!
Am Nachmittag wiederholt sich das Übungsprogramm, während das Schiff gemächlich zwischen ConCon und Laguna Negra kreuzt. Das Wetter bleibt ganz wunderbar und  bietet uns herrliche Ausblicke. Einmal folgt uns eine Schar von Tümmlern springend und lachend über meine Versuche, sie mit der Kamera festzuhalten. Sie bleiben eine wunderbare Erinnerung.
Was mir bei der Reise noch aufgefallen ist? Die drangvolle Enge auf dem Schiff! Die Vorstellung 290 Tage lang in dieser Zwangsgemeinschaft leben zu müssen, ohne alle Privatsphäre,  stellt eine Herausforderung dar! Wir Besucher aber durften uns den ganzen Tag frei auf Schiff bewegen, hatten keine Schwimmwesten an, konnten alles fotografieren, konnten Jeden fragen – welch ein Privileg!
Lästig war nur  der Lärm! Nix karibische Hochsee-Stille! Die Kadetten müsen 16 verschiedene Signale ihres Hauptverständigungsmittels, einer einfachen Pfeife, beherrschen, aktiv wie passiv. Und das üben sie ausdauernd und mit zunächst geringem Erfolg.
Gegen 19.00 Uhr sind wir wieder im Hafen und gehen nach Abschieds- und Dankzeremonien an Land – ein jeder mit seinem leicht schwankenden Gang und einem Herz voller Bilder und Erinnerungen, die darauf warten, den Familien mitgeteilt zu werden.
Was ich den Kindern erst am Tag danach erzählt habe, ist der weniger bekannte Teil der Geschichte: Während der Diktatur lag das Schiff im Hafen vor Anker und wurde als Gefängnis für Regime-Gegner benutzt. Dabei ist es auch zu Folterungen gekommen, deren Nachweis erst 2011 gerichtlich bestätigt wurde. Die Schüler waren erschüttert...

Zum Nachlesen:  www.esmeralda.cl