Sonntag, 30. Dezember 2007

Un Techo para Chile


Die chilenische Gesellschaft ist sorgfältig gestuft, wie jeder weiß. Seit Jahrhunderten gibt es ein ausgeprägtes Gefühl für Hierarchien und jeder weiß, dass man sie einhalten muss, solange die Dinge ihren normalen Gang gehen. Diese Hierarchien spiegeln sich auch in der Siedlungstätigkeit wieder. Waren die Besitzer der großen Häuser ursprünglich unten in der Stadt beheimatet, so sind sie mit den Jahren immer weiter hinaufgezogen, an die Abhänge der Cerros: dort gibt es bessere Luft und die große Vista auf das Meer, die Bucht, die Dünen von Reñaca. Nur ganz oben auf den Cerros stimmt es plötzlich nicht mehr: da finden sich die Poblaciones und noch weiter, da wo kein Micro-Bus mehr die Verbindung zur Welt herstellt, da sprießen die Campamentos, die Tomas. Das sind wilde Landnahmen auf öffentlichem Grund durch die Habenichtse, durch die Hoffnungsvollen, die vom Glitzer der Stadt hoffnungsvoll angelockt wurden und die ihr Leben lang darauf hoffen, den großen Sprung zu schaffen und aus dem Zyklus der Armut auszubrechen. 20.000 sind es mindestens in Chile.

Dazu gehört auch Enrique, Don Enrique wie er sich nennen lässt. Er hat jetzt, am Ende eines langen, unregelmäßigen Arbeitslebens endlich eine feste Anstellung als Anstreicher gefunden, aber seine bisherige selbst gebastelte Bleibe im Campamento ist so gut wie eingestürzt und, noch schlimmer, die Erben seines Bruders verlangen die einst geliehenen Baumaterialien (Wellbleche und Holz) zurück. Also wurde er von der Asociación de los Vecinos ausersehen, in den Genuss einer Mediagua zu kommen, die „Techo Para Chile“ baut und finanziert. Das ist ein von einem Jesuiten gegründeter und v.a. von Deutschland mitfinanzierter Verein, der es sich zum Ziel gesetzt hat, dass bis zum 200. Gründungstag Chiles kein Staatsbürger mehr ohne ein Dach über dem Kopf lebt. Dass die Hütten die da gebaut werden, allenfalls zwei Jahre halten, wissen die auch, aber sie sehen die Unterkunft ja auch nur als ein Übergangsstadium in ein würdiges Menschenleben.

Nun, eine unserer 6. Klassen hatte das Geld für die Baumaterialien (400.000 Pesos = 600 €) durch Arbeit und Sammeln nicht ganz zusammengebracht, also hatte der Elternbeirat den Rest drauf gelegt. Kollegin Vera hat die Trommel gerührt und zu guter Letzt kam unser Bautrupp zustande: ein gemischtes Völkchen, teils Familienausflug, teils überzeugte Christen, teils Abenteurer oder auch ein paar naive Neugierige wie wir drei deutschen Lehrer. Es hatte geheißen, man sollte möglichst selbst Werkzeug und Handschuhe und Sonnenschutz mitbringen, für alles andere sei gesorgt. Am Treffpunkt geht es sehr chilenisch los: herzliche Begrüßung, aber keiner kennt sich aus, weiß wo wir bauen, auch der deutsche Zivi Gerry aus Köln nicht, aber immerhin hat er schon öfters solche Bauarbeiten geleitet. Wir verlassen Viña und erklimmen über dem Ortsteil Achupallas immer steilere Hügel, bis die Straßen aufhören. Wir fahren unter rauchender Kupplung weiter bergan in eine Ansammlung scheinbar völlig unsystematischer Hütten / Behausungen / Müll-Löcher – dazwischen eine winzige Schule, ein noch kleinerer Tante Emma Laden, kläffende Köter, apathische Menschen, aufsteigende Rauchwolken, neugierige spielende Kinder, und schließlich sind wir da: wir zwängen uns aus der Karre und sind überwältigt: von dem Elend, von dem Panorama von Playa Ancha bis zu den Dünen von ConCon und dem tosenden Wind. Don Enrique empfängt uns: er hat schon den ganzen Morgen sein Grundstück aufgeräumt (trotzdem eine Müllhalde) und weiß auch schon, wie das Haus stehen soll. Das Ganze wird eine Holzkonstruktion aus vorgefertigten Seitenteilen, die aus einem Fundament aus Holzsäulen mit Bodenplatte errichtet werden. Das erste ist die exakte Positionierung dieser 15 Grundbohlen, für die Löcher gegraben werden müssen. Oh Leser, vergiss deine Vorstellungen: deine Phantasie hat keinen Raum um zu ermessen, was es heißt, in den chilenischen Boden ein Loch zu graben. Mit 25 kg schweren Brechstangen kratzen wir Stück um Stück die Löcher. Auch die anderen Arbeiten gehen mit denkbar einfachsten Mitteln vonstatten. Wir Nivellieren mit einem Wasserschlauch, benutzen Senkblei und Metermaß und wo immer nötig Hebelkraft. Trotzdem waren 2 Pfeiler zu ungenau gesetzt und mussten neu gesetzt werden. Da war es bereits mittags, ich todmüde mit Blasen an den Händen, Sonnenbrand an den Ohren und der festen Meinung, das wird nie mehr was!

Große Mittagspause mit gemeinsamen Mahl: die Kolleginnen haben typische Salate mit Thunfisch und viel Obst vorbereitet mitgebracht, Don Enrique stellt sein gesamtes Geschirr (Blechnapf, 1 Besteck) zur Verfügung und kocht Tee: ich Feigling habe dankend abgelehnt.

Oh Wunder, nach dem Essen ging es plötzlich voran: in Nullkommanix hatten wir den Fußboden genagelt und die Seitenteile waren ja vorgefertigt. Aber versucht mal bei tosendem Wind diese Teile aufrecht zu halten, so dass sie im Lot sind. Und dann wird bei der ganzen Hütte keine einzige Schraube verwendet - nur Nägel!!!! Das deutsche Qualitätsherz bricht – aber genauso war es!!! Wer kann den Jubel sich vorstellen, als endlich der Firstbalken eingesetzt ist und damit die Konstruktion so weit versteift wird, dass sie stabil steht. Wir alle haben uns mit Don Enrique gefreut, der würdevoll seinen einzigen Teppich ausschüttelte, ihn im Häuschen ausrollte und zeremoniell zum Einstandsfoto lud: ein würdiges Menschenleben beginnt eben mit einer würdigen Behausung, auch wenn es hier noch kein Dach, Türe, Fenster Wasser oder Strom gab. Wir hatten nämlich zufällig keine richtigen Dachsparren bekommen, dafür kommt das Wasser per Tanklaster von der Stadt und wegen Strom hängt man sich beim Nachbarn dran und fragt am besten nicht, woher der ihn hat.

So war Don Enrique zu seinem kleinen Glück gekommen, nur was im Winter aus ihm und all den anderen werden soll und wie lange die Bretterhütte hält? Und dass bis 2012 alle eine Dach über dem Kopf haben in Chile, das glaube ich nie!!! http://www.untechoparachile.cl/ Wieder vom Bernhard
Anmerkung der Redaktion: nachmittags um halb vier gab´s dann auch noch ein Erdbeben.

Samstag, 29. Dezember 2007

nachtrag:http://www.rutavalparaiso.cl/web/win5.htm

Ein Tag in Valpo

Wir haben uns den Luxus geleistet und für einen Tag einen persönlichen Führer durch Valparaiso engagiert. Er heißt Leonardo und ist der Ehemann einer Kollegin. Er betreibt ein Einmann-Unternehmen und unter dem Titel „Rutas de Valparaiso“ bietet er Themen-Stadtführungen an. Viel wichtiger ist aber, dass Leonardo absoluter Valpo-Fan ist. Er stammt von den partes bajas del Cerro Placeres und wurde während eines der zahllosen Erdbeben im Krankenhaus (dort wo sich heute das hässliche Parlamentsgeschenk Pinochets erhebt) geboren und hat nur überlebt, weil sein 14-jähriger Bruder ihn aus den Trümmern gerettet hat. Er steckt voller Kenntnisse, Geschichten, Anekdoten, Mythen und abseitiger Ideen. Und er entdeckt selbst seine Stadt immer wieder neu – und diese Freude ist ansteckend.

Wir treffen uns an der verkehrsumtosten Merval-Station Baron und wir erklimmen den gleichnamigen Hügel. Kaum haben wir den donnernden Strom aus Container-Lastern, röhrenden Micros, verwegen beladenen Pritschenwagen und rasenden PKWs samt Tatzelwurm hinter uns gelassen, das reingeklotzte, überdimensionierte Kaufhaus Paris hinter uns gelassen, einen ewig nicht reparierten Ascensor betrauert (der hätte uns nämlich den Fußweg verkürzt), eröffnet sich uns ein Panorama, das die ganze Bucht von Playa Ancha bis Recreo überblicken lässt. Ach was Bucht – ein Amphitheater tut sich vor uns auf, so wie es Juan de Saavedra, den namengebenden Entdecker auch überrascht hat, ein riesiges Amphitheater, nur, dass sich seit 200 Jahren immer mehr bunte Würfel mit Freuden die steilen Hänge zum Pazifik hinunterzupurzeln scheinen. Und manches Erdbeben, manche zu kühne Holzkonstruktion, manch dreifach vorkragendes, vorne 7- hinten 2-stöckiges Haus gibt dem Drang nach. In völliger Regellosigkeit ist hier ein anarchisches Wachstum und Sterben von Gebäuden jeder Form und Größe präsentiert, reich dekoriert mit der üppigen Flora dieser Breiten. Die wenigen Gemeinsamkeiten dieser Regellosigkeit bestehen in dem Wettlauf um den besten Blick: die vista zum Meer. Daneben hat man wie immer und überall auf das Ortsübliche und leicht Erreichbare zurückgegriffen: Holz, zu seinem Schutz Wellblech, das als Ballast-Material der Segelschoner im Hafen reichlich zur Verfügung stand, und zu dessen Schutz wiederum übrige Farben, ebenfalls von den verschiedenen Schiffen im Hafen. Das Resultat ist ein exotisches Farbkaleidoskop, in dem die starken Farben dominieren, was das milchige Sonnenlicht der Küste noch verstärkt. So wird der reichlich vorhandene Verfall romantisch schnell überhöht und noch die letzte vermüllte, verkackte Seitengasse hat ihren Charme, wenn sich Hibiskus um einen ehemaligen Eingang windet und an der Plazuela ein Jacarandabaum blüht. Soll die Katze doch weiter die Plastiksäcke mit Müll durchwühlen, der Penner war ja schon vorher da.

Beschleichen den Europäer beim Betreten mancher Gässlein und Trepplein sinistre Gefühle, so wird man immer wieder überrascht, dass sich da ganz normales Familienleben abspielt, mit auf der Gasse spielenden Kindern, ratschenden Weibern, autorichtenden Anwohnern - zumindest bei Tageslicht. So wandern wir über den Cerro Baron zum Cerro Lecheros, bewundern Elendshütten und Paläste, anarchistische Wandmalereien und liebevoll gepflegte Vorgärten. Wir steigen hinab, überqueren die hässliche Argentina, wandern vorbei am hässlichen Parlament und trinken Kaffee in einer Kneipe die die Zwecke Antiquitätenladen und Café in sich vereinigt. Vor dem Parlament sind wir gerade dem Eselsmilch-Händler begegnet, der seine Eselin mit sich führt und der Kundschaft bei Bedarf frisch melkt, aber dabei versichert, dass die Mischung seines Produktes mit Brandy ein unvergleichlicher Viagra-Ersatz sei.

Unser neuer Anlauf bringt uns mit dem rumpelnden Ascensor Mariposa wieder weit hinauf und wir wandern über Cerro Florida, bis uns der Hunger wieder hinuntertreibt. Mit Leonardo landen wir in einem unvergleichlichen Lokal, dem „J. Cruz“, einem ehemaligen Lokal der Polizei, das sich jetzt auf Grund der Sammelwut seines Wirts zu einer irrsinnigen Ansammlung von Allem und Jedem gewandelt hat, was sich sammeln lässt: ostasiatische Jadefiguren stehen neben afrikanischen Buschmasken, Münzen und Medaillen teilen sich den Platz mit beschrifteten Servietten, ein Torpedo droht von der Decke, lässig belächelt von einer Schaufensterpuppe. Wo auch immer zwischen den Objekten noch Platz war, haben sich die Gäste schriftlich verewigt, so dass in diesem horror vacui tatsächlich kein Platz mehr frei ist. Wer bei all diesen Ablenkungen noch Zeit und Konzentration findet, bestellt sich eine Platte Chorillos und wird überwältigt von einem Riesenberg aus Pommes, Zwiebeln und Fleisch, die man gemeinschaftsstiftend von einer Platte isst. Für 12.500 Pesos sind wir alle gut satt geworden.

Jetzt steht ein Verdauungsmarsch an. Er führt auf Grund unseres Wunsches hinauf zum Friedhof der Dissidenten auf dem Cerro Carcel. Drohend krönen die leeren Mauern des ehemaligen Gefängnisses den Hügel. Daneben liegen hoch ummauert 2 Friedhöfe. Der traditionsreiche Friedhof der Protestanten ist noch heute in Händen einer englischen Corporación und wird von einer Alten betreut, die misstrauisch dem Besucher das Tor öffnet: zuviel sei hier schon geklaut worden. Nicht mal fotografieren oder zeichnen darf man hier. Die Diebe haben schon viele Grabfiguren auf Bestellung entwendet. Sie fürchtet sich nicht vor den Toten in der Nacht, sondern nur vor den Lebenden. Und außerdem hat die Katze gerade 5 Junge in der freien Mauernische der Grabwand geboren. Und, sehen Sie, um dieses Grab hat sich schon seit Jahrzehnten keiner mehr gekümmert. Und das ist beim letzten Erdbeben eingestürzt. Ob dieses Säulenmonument das nächste überstehen wird, ist sehr fraglich. Nein, nein, das ist alles dokumentiert. Ich kenne alle meine Toten. Ja, sie kennt sie wirklich. An uns ziehen alle die klangvollen und vergessenen Namen der deutschen und englischen Kolonie vorbei. Zu jedem Grab weiß sie was. Die Atmosphäre an diesem Ort ist unvergleichlich, die gefangene Zeit, der Verfall und gleichzeitig die rührenden Bemühungen ihn aufzuhalten, die Einsamkeit und Verlassenheit inmitten der Großstadt mit ihrer unvergleichlichen Lage und gleichzeitig der Schutz der heiligen Friedhofsmauer... Da fährt am anderen Friedhof eine ganze Reihe von Polizeiautos vor, um entlaufene Ganoven aufzuspüren.

Mit dem Micro-Bus gibt’s nun eine tollkühne Fahrt auf über 200 m hinauf auf Straßen, deren Steilheit jede Turracher Höhe zu einem Sonntagsspaziergang verblassen lassen. Da die Ausblicke so atemberaubend sind, bleibt gar keine Zeit sich über die waghalsigen Fahrmanöver unseres Chauffeurs aufzuregen – er hat auch gar keine Zeit, denn er muss dauernd mit einer Passageuse reden... Es geht an der Plaza Bismarck vorbei und kaum sind wir oben, wo die Cerros in Natur übergehen und nur noch Poblaciones den Wegrand zieren, stürzen wir uns schon wieder zu Tal (Av. Yerbas Buenas) - ich glaube, wir haben alle mitgebremst.

In der uns wohlbekannten Almte. Montt unter der alten Dt. Schule schlucken wir nach langem Warten (die Milch muss erst noch eingekauft werden) einen Kaffee: die Luft der Gegend ist eh noch vom Vorabend Tränengas geschwängert. Es gab im Rahmen der Carnevales Culturales mal wieder eine Konfrontation zwischen Jugend und Polizei.

Schließlich lassen wir uns durch das unendlich quirlige, laute, dreckige, volle Stadtzentrum (Condell, Independencia, Victoria) zurücktreiben, erleben auch noch das lautstarke Cueca-Tanzen von jung und alt in der Victoria, sind aber mittlerweile so geschafft, dass wir uns von unserem liebgewonnenen Cicerone verabschieden und mit der S-Bahn wieder nach Hause tuckern. Was für ein eindrucksreicher Tag! Vielen Dank, Leonardo! diesmal von Bernhard geschrieben

Samstag, 22. Dezember 2007

Fernsäh!!

Wer am 23. 12. nix zu tun hat , möge sich vor die Glotze werfen, dort kann man den ganzen Tag auf 3sat Filme über Mittel-und Südamerika sehen, von 6.15 Uhr bis Heiligabend morgens. Wir könnens leider nicht sehen, hinter den Bergen, bei den sieben Zwergen.....

Fröhliche Weihnachten!!!!!

Liebe Freunde, Bekannte und Leser, weil wir es wie jedes Jahr nicht zambringen rechtzeitig zu schreiben, kitschige Kartengrüße ,von denen es hier viele nach USA-Vorbild gibt, zu versenden, wir auch keine gute Ausrede haben, ich wenigstens nicht, weil ich ja wahrhaftig nicht zuviel Arbeit habe, wünschen wir Euch wenigstens via blog Feliz Navidad y un gutes Neues Jahr und vertrösten Euch auf Post nach Weihnachten, oder mit den heiligen drei Königen. Eure K und B

Mittwoch, 19. Dezember 2007

Streik an der DSV von Bernhard


Das hat es noch nie gegeben: an der DS Valpo wird gestreikt. An der Zufahrt zum Schulgelände stehen Trauben von Lehrern und schwenken selbst gefertigte Plakate, auf denen mehr Lohn gefordert wird. Dicke Plastiktüten mit belegten Broten und Thermoskannen mit Kaffee heizen genauso ein wie die lokale Presse und das Fernsehen, die sich mit Freude und Ungenauigkeit auf diese Lokalsensation stürzen. Am Tor und den anderen Zugängen stehen die üblichen Wachen, verstärkt durch den Gerente und Vorstandsmitglieder, und notieren akribisch, welche Lehrer das Gelände betreten und wer nicht. Der Grund: Nur wer herinnen ist, wiewohl er auch dort streikt bzw. nur in seinen Stunden seine Klasse unterrichtet (und keine andere) erhält auch sein Dezember-Gehalt. Kuriositäten des chilenischen Arbeitsrechts...
Drinnen im Schulgelände herrscht geisterhaftes Schweigen. Das großzügige Sportgelände wirkt jetzt, wo kein einziger Schüler dem Ball hinterher rennt noch riesiger. Ein einsamer Auxiliar recht die Aschenbahn. Der Schule fehlt sofort die Farbe, ohne die bunten Schuluniformen und die Schreie der Kinder.

Im Lehrerzimmer ist die Situation ebenso seltsam. Etwa 25 Lehrer sind da. Es sind die Nicht-Syndikalisierten, die vermittelten Deutschen und die Streikbrecher. Und natürlich Aurora, die gute Seele des Hauses, die genauso wie jeden Tag für heißes Wasser sorgt, staubt du wischelt und mitgebrachte Speisen aufwärmt.

Das nervöse Direktorats-Krisenteam übt sich im Krisenmanagement. Alle Schüler, die trotz Telefonkette, E-Mail und diese wundersame Form des indigenen Mundfunks ihre Kinder angeliefert haben, werden in der Aula versammelt, nach Klassenstufen sortiert und zu Gruppen zusammengefasst - wenn die indignierten Eltern nicht doch noch die traurig schauenden Grundschüler mit nach hause zu Oma, Opa oder Nana bringen. Aufteilung in Gruppen, Zuweisung von Räumen und Aufsichtspersonal (Lehrer kann man das heute nicht nennen), ad hoc Programme: Volleyball, Film, weihnachtliche Kopien ausmalen / schnipseln / kleben. Keiner ist so recht begeistert, schon gar nicht die Vermittelten, deren Herz für die geknechteten entrechteten schlägt, deren Einsatz aber von den altgedienten Chilenen gefordert wird: „Es un Colegio Alemán!“ Mein Krisenplan vom Vorabend, der auf freiwilligen Eintrag der Lehrkräfte gerichtet war, war schon beim Aushang Makulatur, stoisch geduldet von den Anwesenden, innerlich höchstwahrscheinlich milde belächelt: der Neue hat halt noch keine Ahnung, wie das hier läuft. Hat er auch nicht!!!

Über den Vormittag hinweg verflüchtigt sich die Schülerzahl v. a. der Oberstufe auf unerklärliche Weise, denn raus aus dem Gelände kommt man nur über die Porteria und mit Genehmigung von Eltern und Sekretariat, wie bei uns. Unser Direktoratsvormittag vergeht im Krisenzentrum wie im Flug mit Sichtung der eingegangenen du eingehenden Nachrichten, E-Mails, Diskussion der Flüsterpropaganda, Mutmaßungen wie es weitergeht, ob man Anregungen zur Schlichtung oder Vermittlung geben soll, wie unter solchen Umständen das Schuljahr mit Noten, Zeugniserstellung und Konferenzen abgeschlossen werden kann und und und...

Gleichzeitig brennt die Vorbereitung des neuen Schuljahres auf den Nägeln. Ich würde gerne die Deputatsverteilung aushängen, Termine für 2008 festlegen, am Weg zum IB arbeiten. Nichts! Nichts von alle dem! Ich muss lernen mich an die Gegebenheiten anzupassen und geduldig zu sein. Nur eins weiß ich schon jetzt: die Folgen des Streiks werden uns noch lange beschäftigen, denn die Konfrontation besteht nicht nur zwischen Gewerkschaft und Vorstand, sondern der Riss geht mitten durch`s Kollegium. Und diese Wunden werden nicht so schnell vernarben.
Anmerkung Katharina: Der Streik ist mittlerweile beendet, Einmalzahlung.

Dienstag, 18. Dezember 2007

Seismo, Sismo, Erdbeben, Temblor

Rüttel, schüttel, krach, knirsch, Ruhe. Es is nix passiert am Samstag. Wir waren mit dem Auto auf einer sowieso hoppeligen Strasse unterwegs und haben das Gerüttel nicht bemerkt, nur die Nachbeben. Es war aber ganz kräftig, das Geschüttel, jedenfalls nach dem runtergefallenen Staub und Putz in unserem Haus zu schließen. Am Sonntagmorgen dann wieder rums, wie wenn was an´s Bett gekracht wäre. Und gestern morgen, fing der Herd an zu zappeln, just als ich die roten Rüben aufgesetzt hatte. Heute ist alles ruhig. Für all das Erdgehampel gibt es eine chilenische Web-Site http://ssn.dgf.uchile.cl/cgi-bin/sismo_cab.pl. Alle Chilenen sind der Ausländerin gegenüber natürlich ganz cool, is man ja gewöhnt, "erschreckt Sie das?"" Man muss die Ruhe bewahren!"Jedenfalls ham wa jetzt Risse im Putz, sehr beruhigend.

Dienstag, 11. Dezember 2007

Margarita

Sie ist sehr hübsch anzusehen, klein , zart, mit langen schwarzen Locken, schwarzen Augen. Seit drei Wochen kommt sie einmal wöchentlich für 5 Stunden und versucht mit mir die Staubwolken zu beseitigen. Jetzt sind alle Böden frisch gewachst und gebohnert, auch der Ziegelboden in der Küche, das gehört so. Im Geschäft für Berufskleidung musste ich einen weißen Kittel und eine weiße Haube für die langen schwarzen Haare kaufen, auch das gehört so. Am ersten Tag waren wir gemeinsam Putzmittel kaufen. Mein Ökoherz zog sich mal wieder zusammen, ich wusste nicht, was man alles wohin schütten kann, wenigstens arbeitet Margarita mit Gummihandschuhen. Sie ist 40 Jahre alt, hat 4 Kinder, drei Töchter und einen Sohn. Den Gatten hat sie vor zwei Jahren rausgeworfen, weil er so streng mit der ältesten Tochter war, er gehört zu einer evangelikalen Sekte, in der man nicht rauchen, trinken oder kurze Haare tragen darf.. Die älteste Tochter ist 18, die nächste 15, dann 10 und der Kleinste ist 3. Weil Margarita so früh geheiratet hat, konnte sie keinen Beruf lernen. Umso mehr unterstützt sie ihre Töchter bei der Ausbildung. Die große Tochter ist gerade mit der Schule fertig und lernt jetzt gastronomia. Meistens kommt Margarita später als verabredet, weil der kleine Sohn noch in den Kindergarten gebracht werden muss. Pro Kind bekommt man vom Staat während der ersten drei Lebensjahre pro Monat 1500 CLP = ca € 3,00, reicht auch hier nicht weit. Bisher hatte sie nie gefrühstückt wenn sie kam, also...... gibt´s erst mal Kaffee und Brot. Mittagessen koch ich ihr dann. Arztbesuche sind für sie und die Kinder kostenlos, allerdings nur bestimmte Ärzte und Krankenhäuser.

Freitag, 7. Dezember 2007

Schulabschlussball

Die Eltern organisieren für ihre Kinder , für die Klassenlehrer und Direktoren ein großes Essen mit Tanz, nachdem die Kinder sowohl die Abschlussprüfung in der Schule als auch die chilenische Universitätszulassungsprüfung hinter sich haben, die besteht aus drei Fächern, Wissen wird im Multiple- choice-Verfahren abgefragt. Von diesem großen Essen kommen wir gerade, wir, weil natürlich die Damen mit geladen sind. Der Freß-Ball fand im Sporting, einem großen Sportclub, statt. Der Boden ist nicht ganz horizontal. Große runde Tische waren sehr festlich gedeckt, um jeden Tisch Plastikklappstühle mit weißen Hussen. Alle waren wunderbar bekleidet, wir wissen jetzt was angesagt ist,es ist ja fast Sommer. Jeder Schüler, jede Schülerin wurde aufgerufen und betrat an Mutters oder Vaters Arm den Saal und das Podest,Applaus, dann Standbein ,Spielbein, Foto Foto. Dann Wiener Walzer.Das dauerte so seine Zeit. Einstweilen Aperitiv. Dann Vorspeise, Hauptgericht, köstlich. Nun Reden, dann Geschenkübergabe an den Direktor und die Klassenlehrer. Jetzt Nachspeisenbufett. Alle Kellner, etwa 15 betraten mit Torten, verziert mit brennendenWunderkerzen den Saal und stellten sich hinter dem langen Bufett auf, Licht aus, Effekt an. Wir beide waren natürlich ahnungslos, dass es sich um ein Zitat aus einer Fernsehserie handelt. Licht an, haps, haps, nam nam.Nun Disco, Hörgeräte raus, Ohrstöpsel rein, wummer, wummer. Jetzt wurden bunte Papphütchen, Papeirgirlanden zum umhängen und Masken ausgeteilt, scheint so Usus, wummer wummer, wir heim ins Bett, Ohren abhängen lassen.

Mittwoch, 5. Dezember 2007

Wasser - AGUA

Immer freitags kommt ein starker junger Mann mit einem kleinen alten Lasterchen, der 20-Liter-Plastik-Pfandflaschen mit gereinigtem Wasser bringt. Das Wasser aus der Leitung duftet verführerisch nach Chlor, was aber für Tee und Kaffee ungeeignet ist. Die Plastikflaschen trägt der junge Mann in die Küche und stellt eine umgekehrt auf einen Plastikuntersatz , der einen Kipphahn hat, und nun kann man Wasser entnehmen. Der Kipphahn ist gerade in einer Höhe angebracht, dass man nur eine kleinere Kanne darunter stellen kann um sich Wasser zu holen. Wenn ich also versonnen die aufsteigenden Blubb- Blasen in der Flasche betrachte,und mich wundere wie dieser dumpfe Klang zustande kommt, passiert es ab und zu, dass der kleine Krug überläuft, tja. Natürlich kann man das Wasser auch bei Santa Isabel im 5-liter-pot kaufen, dann kann man es locker heben und kippen, man braucht aber zu zweit jeden Tag ungefähr 4 Liter, wenn man nicht auch die Nudeln in dem geschmacklosen Wasser kocht, also hat man schnell Berge von leeren Plastikflaschen, dann doch besser junge starke Wassermänner. Mit dem Leitungswasser wird gegossen, in unvorstellbaren Mengen werden Gras und Blumen gegossen, in meditativer Konzentration, zu jeder Tageszeit. Fast jeder größere Garten hat ein Schwimmbad, auch fast jeder von diesen Wohntürmen. Wasser? kein Problem!

Montag, 3. Dezember 2007

Teleton-Fieber

Schon monatelang gibt es Werbetafeln für Spenden. Wir haben sie immer gelesen." En cada paso estas tu !" Der Satz, der einem von überallher entgegen schrie. Auch auf den Scheiben der Autos stand "Teleton 2007". Na , mit der typischen Ausländerträgheit haben wir uns nicht weiter gekümmert,(so genau woll mers gar ned wissen, werd scho wieder so was sei) Bis am Samstagmorgen, der normalerweise sehr ruhig ist, auf unserer Strasse die Hölle los war. Victor und Kollegen hatten jede Menge zu tun, genug Parkplätze zu finden, warum? Wegen Teleton! Die Bank war geöffnet. Viele freiwillige Mitarbeiter waren da, in leuchtend blaue T-Shirts gekleidet, mit Bank- und Teletonaufdruck, die Spenden entgegennahmen. Teleton ist eine Stiftung, die seit 1978 immer am ersten Wochenende im Dezember Geld sammelt für behinderte Kinder, um Therapieprogramme zu finanzieren. Jedes Jahr gibt es einen anderen zündenden Werbesatz, jedes Jahr steht ein behindertes Kind für alle Kinder, heuer ein kleiner Bub mit zwei Krücken ,die das Geld bekommen sollen. Jedes Jahr soll mehr Geld gespendet werden. Wen´s interessiert, allerdings auf spanisch : http://es.wikipedia.org/wiki/Telet%C3%B3n_Chile#Historia . Auf allen chilenischen Fernsehkanälen läuft 27 Stunden lang ein Animationsprogramm für Spenden. Banco de Chile hat 27 Stunden lang geöffnet. Auf den Straßen gibt es Feste mit Musik, in den Geschäften stehen Sammeldosen, viele Helfer sind unterwegs mit Sammelboxen. Mittlerweile gibt es Teleton in vielen lateinamerikanischen Ländern.13.235 231 970 chilenische Pesos sind gespendet worden. 100 000 Pesos sind ungefähr 150 € Wir sind natürlich auch auf die Bank geflitzt und haben gespendet, is ansteckend!