Sonntag, 11. Mai 2008

Mein Alltag an der Schule II, Überschneidungen mit Alltag I sind beabsichtigt

Als guter deutscher / bayerischer Beamter hat man gelernt, dass Unterrichtsstunden einen dreiteiligen Aufbau haben, bestehend aus Wiederholung – Neudurchnahme – Hausaufgabenstellung, entwickelt an der Struktur des klassischen griechischen Dramas. So ganz einfach lässt sich dieses Muster aber nicht auf die hiesige Wirklichkeit übertragen, wie zu zeigen sein wird.

Überpünktlich schwinge ich also meinen Rucksack über die Schulter, melde mich bei Monika meiner Sekretärin ab (ein sarkastisches (?) Lächeln huscht über ihr Gesicht – oder bilde ich mir das nur ein???) und hinauf geht’s die zwei Stockwerke in den 6. Stock. Dort herrscht reges Treiben, obwohl eigentlich die täglichen 15 Minuten laufen, in denen jeder Klassenlehrer seine Klasse sieht, Anwesenheit und Uniform kontrolliert und Organisatorisches oder Thematisches bespricht. In vielen Klassen passiert das auch, aber nicht immer so, dass man den Eindruck hätte, dass da auch ein Lehrer dabei wäre. Das liegt daran, dass zwischen Klassenlehrer und Schüler ein durchaus persönliche, herzliches Verhältnis besteht, das dazu führet, dass man sich herzlich umarmt, sich viel zu erzählen hat und alle Probleme ausbreitet. Außerdem sind ja noch gar nicht alle Schüler da, denn abgesehen davon, dass manche wirklich weite Schulwege haben, halten es viele Familien mit der Pünktlichkeit nicht so genau. (Erst wenn es um Kritik an der heutigen Dt. Schule geht, spielt das eine hervorragende Rolle!)

Also spreche ich auf dem Weg nach oben verspätete Media-Schüler an, zunächst auf Deutsch, das sie auf Grund der frühen Morgenstunde eh noch nicht verstehen, und höre mir ihre genuschelten Erklärungen an. Meine Aufforderung sich zu beeilen, wird anscheinend auch nicht verstanden. Oben angekommen treffe ich auf den stets wischelnden Auxiliar, suche mir einen der zahlreichen OHPs, die auf dem Gang rumstehen aus und walle zu meinem Gruppenraum. Da in Deutsch alle Lerngruppen halbiert werden, verteilt sich der Unterricht auf jeden nur möglichen Raum. Heute erwischt es mich lado cerro (bergseits), d.h. der Raum hat jetzt im Herbst die gleiche Temperatur wie draußen und sieht nie die Sonne. Dafür blättern von der Wand die Farbflocken und es zeichnen sich dunkle Felder ab - daneben ist das Buben-Klo, eine der am häufigsten und intensivsten genutzten Räumlichkeiten überhaupt, nur noch übertroffen vom Mädchen-Klo 3 Türen weiter. Auch heute tummeln sich bereits allerhand Jugendliche, etliche davon sind mit der Morgentoilette beschäftigt: man sprüht nach gehabten Fußball-Anstrengungen gerne große Mengen Deo ins Körpergehöhle. Diese Mischung aus Old Spice, Raumspray (hier Erdbeere) und Klo-Gerüchen ist wirklich einzigartig!

Und dann das ersehnte-gefürchtete Klingeln, ein klassisches Beispiel chilenischer contaminación acustica: obwohl ich den Chef-Elektriker gebeten habe, die Lautstärke zu reduzieren (und er hoch und heilig versichert, das auch getan zu haben, schrappe ich jeden Morgen wieder knapp an einem bleibenden TinitusSchaden vorbei.. Türen fliegen auf und Menschenscharen ergießen sich in alle Richtungen: nicht nur die zahlreichen Gruppen auf Raumsuche sind es, nein, praktisch alle sind unterwegs, um sich zu begrüßen (Küsschen-Küsschen) und die wichtigsten News bzgl. des in den 15-Minuten vorgefallenen auszutauschen, um den abführenden Auswirkungen dieser 15 Minuten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, um sich am Klo zu treffen, um den geliebten Fachlehrer, der jetzt gleich kommen wird, zu begrüßen, um den Kerscher zu fragen, ob man tatsächlich jetzt miteinander Deutsch machen wird / will / kann / soll und ob man nicht erst noch schnell Pipi-Pause (eines der wenigen Wörter, das hier ALLE, wohl durch ihre Kindergarten-Sozialisation beherrschen!!) machen könnte. Außerdem müssen alle noch schnell mal telefonieren, E-mails checken. SMS weiterschicken, aber dann klappen tatsächlich die ersten Türen zu, es wird stiller auf den Gängen und nur noch die ungefrühstückten Zuspätkommer sausen mit ihrer Cola vorbei.

Meine Schüler wuchten sich mühsam in die Höhe zur Begrüßung, stehen schwankend wie ein Rohr im Sturm ihrer Adoleszenz, sind konsterniert von meinem „Grüß Gott, meine Damen und Herren!“ und setzen zu einem versetzten Murmeln ihres Grußes an, der sich auf halbem Weg zu einem intonierten Singsang steigert und der sich jedes Mal an meinem Nachnamen bricht, wo er sich bestenfalls zu einem „Härrrrrr Kertchääää“ steigert und unter allgemeinen Glucksen über diesen Namen verebbt.

Dann Anwesenheitskontrolle und Routinen. Hausaufgaben braucht man nicht ansprechen, da nur ausnahmsweise welche gestellt werden, was als Zumutung empfunden wird - Kunststück bei bis zu 47 Wochenstunden Unterricht! Mühsames Wiederanknüpfen an den Vorstundenstoff („War da was? Que quiere, profe?“), Neudurchnahme, Tafelanschrift, Hefteintrag, alles wie überall, nur dass viele Routinen nicht etabliert sind, mancher in der Media nur mit rudimentären Unterrichtsmaterialien ausgestattet ist und alles sehr kleinschrittig bis langsam verläuft. Die meisten Schüler sind lieb und freundlich und harmlos (oder auch noch zu müde), zumindest jetzt in der 1. Stunde. Den 3. Teil der Stunde können wir uns sparen, vielmehr machen wir Hausaufgaben, d.h. Übungsphasen als Teil der vielen Doppelstunden. Auch gut - alles nur gewöhnungsbedürftig...

Mit Handschlag und anerkennenden Worten verabschieden sich meine Eleven und ziehen zur nächsten Stunde ihres langen, 10-stündigen Tages. Zurück bleibe ich mit meinen Zweifeln und meinem OHP. Ganz langsam schiebe ich ihn am Auxiliar des Stockwerks vorbei, der jetzt gerade diese Hälfte des Ganges wischt und mich freundlich grüßt. Er wird noch lange wischen und jedes Fetzelchen Papier, das auf den Boden fliegt, aufheben. Er wirkt dabei ganz glücklich. Man kann sich an ihm ein Beispiel nehmen.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Herrlich, klingt ja alles sehr geordnet, oder auch nicht?! Aber ich denke mal Sie steigen da schon durch! Wenn man das liest, denkt man sehr gerne an die eigene Schulzeit zurück, wie diszipliniert wir doch in der Früh (meistens) schon waren.
Ich wünsche jedenfalls viel Erfolg beim "routinierten" Unterrichten.

Alles Gute
Martin

Anonym hat gesagt…

Lieber Bernhard, das klingt ja wie im richtigen Leben. Die lieben kleinen Chilenen muss man bewundern, Dich, den "alten" (Pardon!), und bayerischen Pauker geknackt zu haben. Sei getröstet, inzwischen gibt es auch hier das Einfordern der Pipi-Pause. Auch wenn Oberfranken der arme Norden ist, bis Du zurück nach Weilheim kehrst, kennen die das dort auch, ... es que la globalización.
Nimm's leicht! Den Zug der Zeit werden wir nicht aufhalten. Ich freue mich schon auf weitere Tröstungen vom anderen Ende der Welt. Un abrazo, Christiana