Sonntag, 30. Dezember 2007

Un Techo para Chile


Die chilenische Gesellschaft ist sorgfältig gestuft, wie jeder weiß. Seit Jahrhunderten gibt es ein ausgeprägtes Gefühl für Hierarchien und jeder weiß, dass man sie einhalten muss, solange die Dinge ihren normalen Gang gehen. Diese Hierarchien spiegeln sich auch in der Siedlungstätigkeit wieder. Waren die Besitzer der großen Häuser ursprünglich unten in der Stadt beheimatet, so sind sie mit den Jahren immer weiter hinaufgezogen, an die Abhänge der Cerros: dort gibt es bessere Luft und die große Vista auf das Meer, die Bucht, die Dünen von Reñaca. Nur ganz oben auf den Cerros stimmt es plötzlich nicht mehr: da finden sich die Poblaciones und noch weiter, da wo kein Micro-Bus mehr die Verbindung zur Welt herstellt, da sprießen die Campamentos, die Tomas. Das sind wilde Landnahmen auf öffentlichem Grund durch die Habenichtse, durch die Hoffnungsvollen, die vom Glitzer der Stadt hoffnungsvoll angelockt wurden und die ihr Leben lang darauf hoffen, den großen Sprung zu schaffen und aus dem Zyklus der Armut auszubrechen. 20.000 sind es mindestens in Chile.

Dazu gehört auch Enrique, Don Enrique wie er sich nennen lässt. Er hat jetzt, am Ende eines langen, unregelmäßigen Arbeitslebens endlich eine feste Anstellung als Anstreicher gefunden, aber seine bisherige selbst gebastelte Bleibe im Campamento ist so gut wie eingestürzt und, noch schlimmer, die Erben seines Bruders verlangen die einst geliehenen Baumaterialien (Wellbleche und Holz) zurück. Also wurde er von der Asociación de los Vecinos ausersehen, in den Genuss einer Mediagua zu kommen, die „Techo Para Chile“ baut und finanziert. Das ist ein von einem Jesuiten gegründeter und v.a. von Deutschland mitfinanzierter Verein, der es sich zum Ziel gesetzt hat, dass bis zum 200. Gründungstag Chiles kein Staatsbürger mehr ohne ein Dach über dem Kopf lebt. Dass die Hütten die da gebaut werden, allenfalls zwei Jahre halten, wissen die auch, aber sie sehen die Unterkunft ja auch nur als ein Übergangsstadium in ein würdiges Menschenleben.

Nun, eine unserer 6. Klassen hatte das Geld für die Baumaterialien (400.000 Pesos = 600 €) durch Arbeit und Sammeln nicht ganz zusammengebracht, also hatte der Elternbeirat den Rest drauf gelegt. Kollegin Vera hat die Trommel gerührt und zu guter Letzt kam unser Bautrupp zustande: ein gemischtes Völkchen, teils Familienausflug, teils überzeugte Christen, teils Abenteurer oder auch ein paar naive Neugierige wie wir drei deutschen Lehrer. Es hatte geheißen, man sollte möglichst selbst Werkzeug und Handschuhe und Sonnenschutz mitbringen, für alles andere sei gesorgt. Am Treffpunkt geht es sehr chilenisch los: herzliche Begrüßung, aber keiner kennt sich aus, weiß wo wir bauen, auch der deutsche Zivi Gerry aus Köln nicht, aber immerhin hat er schon öfters solche Bauarbeiten geleitet. Wir verlassen Viña und erklimmen über dem Ortsteil Achupallas immer steilere Hügel, bis die Straßen aufhören. Wir fahren unter rauchender Kupplung weiter bergan in eine Ansammlung scheinbar völlig unsystematischer Hütten / Behausungen / Müll-Löcher – dazwischen eine winzige Schule, ein noch kleinerer Tante Emma Laden, kläffende Köter, apathische Menschen, aufsteigende Rauchwolken, neugierige spielende Kinder, und schließlich sind wir da: wir zwängen uns aus der Karre und sind überwältigt: von dem Elend, von dem Panorama von Playa Ancha bis zu den Dünen von ConCon und dem tosenden Wind. Don Enrique empfängt uns: er hat schon den ganzen Morgen sein Grundstück aufgeräumt (trotzdem eine Müllhalde) und weiß auch schon, wie das Haus stehen soll. Das Ganze wird eine Holzkonstruktion aus vorgefertigten Seitenteilen, die aus einem Fundament aus Holzsäulen mit Bodenplatte errichtet werden. Das erste ist die exakte Positionierung dieser 15 Grundbohlen, für die Löcher gegraben werden müssen. Oh Leser, vergiss deine Vorstellungen: deine Phantasie hat keinen Raum um zu ermessen, was es heißt, in den chilenischen Boden ein Loch zu graben. Mit 25 kg schweren Brechstangen kratzen wir Stück um Stück die Löcher. Auch die anderen Arbeiten gehen mit denkbar einfachsten Mitteln vonstatten. Wir Nivellieren mit einem Wasserschlauch, benutzen Senkblei und Metermaß und wo immer nötig Hebelkraft. Trotzdem waren 2 Pfeiler zu ungenau gesetzt und mussten neu gesetzt werden. Da war es bereits mittags, ich todmüde mit Blasen an den Händen, Sonnenbrand an den Ohren und der festen Meinung, das wird nie mehr was!

Große Mittagspause mit gemeinsamen Mahl: die Kolleginnen haben typische Salate mit Thunfisch und viel Obst vorbereitet mitgebracht, Don Enrique stellt sein gesamtes Geschirr (Blechnapf, 1 Besteck) zur Verfügung und kocht Tee: ich Feigling habe dankend abgelehnt.

Oh Wunder, nach dem Essen ging es plötzlich voran: in Nullkommanix hatten wir den Fußboden genagelt und die Seitenteile waren ja vorgefertigt. Aber versucht mal bei tosendem Wind diese Teile aufrecht zu halten, so dass sie im Lot sind. Und dann wird bei der ganzen Hütte keine einzige Schraube verwendet - nur Nägel!!!! Das deutsche Qualitätsherz bricht – aber genauso war es!!! Wer kann den Jubel sich vorstellen, als endlich der Firstbalken eingesetzt ist und damit die Konstruktion so weit versteift wird, dass sie stabil steht. Wir alle haben uns mit Don Enrique gefreut, der würdevoll seinen einzigen Teppich ausschüttelte, ihn im Häuschen ausrollte und zeremoniell zum Einstandsfoto lud: ein würdiges Menschenleben beginnt eben mit einer würdigen Behausung, auch wenn es hier noch kein Dach, Türe, Fenster Wasser oder Strom gab. Wir hatten nämlich zufällig keine richtigen Dachsparren bekommen, dafür kommt das Wasser per Tanklaster von der Stadt und wegen Strom hängt man sich beim Nachbarn dran und fragt am besten nicht, woher der ihn hat.

So war Don Enrique zu seinem kleinen Glück gekommen, nur was im Winter aus ihm und all den anderen werden soll und wie lange die Bretterhütte hält? Und dass bis 2012 alle eine Dach über dem Kopf haben in Chile, das glaube ich nie!!! http://www.untechoparachile.cl/ Wieder vom Bernhard
Anmerkung der Redaktion: nachmittags um halb vier gab´s dann auch noch ein Erdbeben.

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