Was den Deutschen die “Gorch Fock”, das ist den Chilenen die
„Esmeralda“ – nein, noch viel mehr, es ist ihr Segelschulschiff und der ganze
Stolz, nicht nur der Marine, sondern der ganzen Nation. Und wenn sie in ihrem
Heimathafen Valparaiso ankommt, dann steht die Bevölkerung Spalier und klatscht
begeistert. Dabei ist das Schiff noch gar nicht so alt: 1947 begann man im nach-Bürgerkriegs-armen Spanien, in Cadiz mit dem Bau, doch eine Explosion in der
Werft verzögerte nicht nur die Fertigstellung der Viermastbark, sondern
verursachte den Konkurs der ganzen Werft. Der spanische Staat, selbst
wirtschaftlich schwächlich und von Auslandsschulden geschüttelt, sprang ein.
Und hier setzte nun die chilenische Diplomatie an. Man könnte ja das schmucke
Schiff in Zahlung nehmen, für die aufgelaufenen unbezahlten Kosten für den
unersetzlichen Chile-Salpeter, der die dürren Felder Spaniens befruchten half.
Kaum waren drei Jahre an Verhandlungen und Feilschen vorbei, schwamm das Schiff
gen Westen. Hier in Chile erhielt es dann auch seinen phantasie-anregenden
Mädchen-Namen. Hören sonst die Schiffe hier auf englische Namen, dass man
meinen könnte, bei der Royal Navy zu sein (Condell, Cochrane Lynn), so setzt
die jetzige „Esmeralda“ eine Tradition in 4. Generation fort, die die Linie
heroischer Seeschlachten beschwört. Die erste ihres Namens hatte man noch den
Spaniern abgenommen (1820),
Der Grund, warum das ales erzählt
wird, liegt darin, dass wir, das heiβt mir als Lehrer und 20 Schülern das
Privileg zuteil wurde, an einer Tagesfahrt dieses Segelschulschiffs
teilzunehmen. Zu verdanken haben wir das dem 2. Kapitän des Schiffs, der
zufällig Schülervater ist, und uns eingeladen hat. Also wähle ich als
Zielgruppe für dieses Zuckerl meine SMV und bestelle sie auf 7.30 Uhr an die
Mole im Hafen von Valparaiso. Dorthin gelangt man nur nach militärischen
Kontrollen (harmlos) und wandert vorbei an allerhand grauen Kriegsschiffen. Am
äuβersten Ende des Piers liegt das Schiff vor Anker und auf ihm herrscht
lebhaftes Treiben. Da ist ein Kommen und Gehen , Waren werden noch angeliefert,
Kabel gezogen etc. Wer nicht da ist, sind meine Schüler! Kapitän zur See
Raddatz lädt mich gleich in seine gemütliche Kajüte ein und stellt mich dem
deutschen Leutnant Koch vor, der als Delegierter der Bundesmarine einen Teil
der kommenden Weltumseglung der „Esmeralda“ mitmachen soll. Auβer uns sind noch
ca. 300 weitere Menschen an Bord, so dass es überall nur so wuselt und wimmelt.
Denn das Schiff hat eine Stammbesatzung und eine Besatzung aus Kadetten, also
jungen Menschen der Escuela Naval, die jetzt erstmals ihr Können unter Beweis
stellen sollen. Seit 2 Jahren gibt es auch Kadettinnen, eine Innovation, die
geradezu revolutionär war und auf dem Schiff Umbauten verlangte.
Unser Tagesprogramm sieht denn auch vor, dass die Kadetten ihr Können zeigen und sich auf die Abschiedszeremonie am Wochenende vorbereiten:
der Präsident persönlich wird das Schiff zu seiner Fahrt um die Welt
verabschieden.
Zunächst muss unser Schiff von zwei Schleppern aus dem Hafen bugsiert
werden,meine Schülerinnen und Schüler sind inzwischen mit der üblichen Verspätung eingetroffen, die
mitgeführte Militärkapelle spielt sehr deutsch anmutende Gesänge, die
angetretenen Matrosen singen mit, und dann bewegt es sich gemächlich, angetrieben
von einem MAN-Motor in die Bucht von Valparaiso hinaus – und schon beginnt ein
gleichmäβiges, aber durchaus intensives Schaukeln, dass mich Landratte durchaus zwingt,
mich auf Deck festzuhalten. Die ersten Mädels werden blass...
Die
Matrosen treten jetzt an und üben endlos die verschiedenen Formen der
Ehrbezeigungen und Formationen, was für
den Nicht-Eingeweihten ziemlich kryptisch und
bedeutungslos bleibt. Viel spannender wird es, als das Schiff sich in
den Wind stellt und der Befehl zum
Aufentern erfolgt: 80 Kadetten klettern die Wanten des Schiffs hinauf, in
schwindelnde Höhe, völlig ungesichert auf 30-40 Meter. Erst in den Rahen gibt
es ein Trittseil und ein System der Seilsicherung, das die Absturzgefahr
begrenzen soll. Nun müssen die Segelschnüre gelöst werden, auf dass sich die
Segel öffnen können. Dazu müssen Gruppen von Matrosen an Deck mit Seilwinden
(Motor und von Hand) unter groβem Kraftaufwand mit viel Hauruck die Segel in
Position ziehen. Und siehe, schon treibt der Wind uns quer durch die Bucht, die
Campana erhebt am Horizont ihr Haupt und die Hochhäuser von Viña verschwinden
im Dunst. Doch keine Zeit für Beschaulichkeit, schon heiβt es wieder „Segel
reffen!“ – wir sind ja zu Übungszwecken hier! Und nun beginnt eine noch gröβere Maloche: die Segel müssen nicht nur hochgezogen , sondern
auch noch gleichzeitig schön gefaltet und festgebunden werden – und das alles
ohne Handschuhe und bei jedem Wetter! Sie haben es geschafft und dürfen runter,
um Mittagspause zu machen.
In der Mannschaftsmesse, dem einzigen Aufenthaltsraum, drängen sich die
Leute, verstärkt durch meine Schüler. Es gibt eine frugalen Linseneintopf. Mich
dageggen hat man an den Tisch von Kapitän Lüttges bestellt, wo wir mit anderen
Gästen von Matrosen bedient werden. Unter den Augen von Arturo Prat tafeln wir
im plüschigen Ambiente und konversieren über die Ausbildung, das Schiff, die
bevorstehende Reise und vieles mehr. Klar, dass wir auch nicht Linseneintopf
speisen!
Am Nachmittag wiederholt sich das Übungsprogramm, während das Schiff gemächlich
zwischen ConCon und Laguna Negra kreuzt. Das Wetter bleibt ganz wunderbar
und bietet uns herrliche Ausblicke.
Einmal folgt uns eine Schar von Tümmlern springend und lachend über meine
Versuche, sie mit der Kamera festzuhalten. Sie bleiben eine wunderbare
Erinnerung.
Was mir bei der Reise noch aufgefallen ist? Die drangvolle Enge auf dem
Schiff! Die Vorstellung 290 Tage lang in dieser Zwangsgemeinschaft leben zu
müssen, ohne alle Privatsphäre, stellt
eine Herausforderung dar! Wir Besucher aber durften uns den ganzen Tag frei auf
Schiff bewegen, hatten keine Schwimmwesten an, konnten alles fotografieren,
konnten Jeden fragen – welch ein Privileg!
Lästig war nur der Lärm! Nix karibische Hochsee-Stille! Die Kadetten
müsen 16 verschiedene Signale ihres Hauptverständigungsmittels, einer einfachen
Pfeife, beherrschen, aktiv wie passiv. Und das üben sie ausdauernd und mit
zunächst geringem Erfolg.
Gegen 19.00 Uhr sind wir wieder im Hafen und gehen nach Abschieds- und
Dankzeremonien an Land – ein jeder mit seinem leicht schwankenden Gang und
einem Herz voller Bilder und Erinnerungen, die darauf warten, den Familien
mitgeteilt zu werden.
Was ich den Kindern erst am Tag danach erzählt habe, ist der weniger
bekannte Teil der Geschichte: Während der Diktatur lag das Schiff im Hafen vor
Anker und wurde als Gefängnis für Regime-Gegner benutzt. Dabei ist es auch zu
Folterungen gekommen, deren Nachweis erst 2011 gerichtlich bestätigt wurde. Die
Schüler waren erschüttert...
Zum Nachlesen: www.esmeralda.cl
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