Sonntag, 28. Februar 2010

RÜTTELT SICH UND SCHÜTTELT SICH














"Falls die Erde nachts bebt, müsst Ihr sofort aufstehen und ins Parterre gehen, die Haustür aufmachen und Euch in die Tür stellen, der Schlüssel für die Haustür ist immer hier" Das sagen wir unseren europäischen Gästen. Sie sehen uns immer etwas erstaunt an. Am Samstag um 3.34 Uhr waren wir sehr froh, dass kein Gast hier war, als dieses Spektakel begann. Man ist sofort wach und steht senkrecht. Runter, aufschliessen, öffnen und dann festhalten . Man wurde geschüttelt, und die Zeit war gaanz laang. Warum hört es nicht auf? Und der Lärm! Das Licht geht aus. Ein Kollege erzählt später von blau blitzenden Leitungen. Nachdem endlich die Stöße vorbei sind , schnappen wir uns eine Taschenlampe und leuchten durch´s Haus. Der Vollmond scheint zum Fenster rein. Im Parterre ist nichts passiert, ausser dass alle Bücher vom Regal gefallen sind und alle Stehlampen verformt am Boden liegen und die Werkstatt ausschaut, als hätt´ jemand umgerührt, alles, was imRegal stand, ist rausgefallen und hat sich auf den Boden ergossen. Der Kühlschrank ist ein wenig von der Wand gehopst. Die Gläser in den Küchenschränken sind dank gut schließender Türen ganz geblieben. Die Treppe hinauf knirscht es, aha , Putz, Staub, Ziegelkrümel, im Bad hat sich das Waschbecken auf seiner Säule aus der Wand geschwungen und sich von seinem Abflussrohr entfernt. Die Medizinen sind alle in´s Bidet auf die dort lagernde Lektüre geplumpst, nur die Notfalltropfen sind kaputt, ausgerechnet. Bernhards Zimmer ist fast unversehrt, wenn man von Stuckstückchen und Rissen in der Wand und Decke absieht. Das Bett ist etwas verrutscht. Mein Zimmer ,sehr rissig, der Putz ist in Stücken runtergeflogen, man kann die guten braunen Lehmziegel sehen. Das Zimmer in dem die Bücherregale stehen ist nicht betretbar, weil das Regal am Boden liegt und sich alle Aktenordner über den Boden verteilt haben, einige sind direkt in die Wäschekörbe gefallen, das wird für den Transport praktisch. Das andere Regal, bestehend aus Kisten hat sich in sich selbst verkeilt, könnte Absicht sein. Risse hat´s auch in der Wand, kaschiert durch Tapete. Und jetzt? Es ist halb 5, wir können nix machen, der beste aller Ehemänner schnappt sich aus dem Kühlschrank ,dem stromlosen, ein Bier und geht schlafen. Ich bin hellwach, ausserdem beginnen die Nachbeben, kleinere Rucker. Um 5 Uhr ist das Haus von Scheinwerfern in der Einfahrt erleuchtet, ich habe gleich Plündererphantasien, es sind aber Elke und Hermann mit ihren 3 Söhnen, die nach allen Freunden schauen, ob alles in Ordnung ist. Sie haben ja schon das Erdbeben 1985 erlebt. Das Ausmaß des Bebens kennen wir noch nicht, viele Sirenen sind in den nächsten Stunden zu hören. Leider haben wir vergessen Batterien für das Transistoradio zu kaufen. Morgens um 7 ruft Gott sei Dank die liebe Tochter an, und so erfahren wir, dass es sehr heftig war, dass viele Menschen gestorben sind und dass das Epizentrum bei Concepcion war. Nach diesem mutterherzwärmenden Anruf brechen auch die Telefonleitungen und die Handynetze zusammen. Bei Tageslicht fängt man an das Chaos zu beseitigen. Der Müllcontainer auf der Straße füllt sich mit Schutt. Zufällig, ausnahmsweise, ist genug Trinkwasser da, Leitungswasser gibt´s grad nicht, alle Wäsche ist gewaschen und gebügelt, und die Lebensmittel werden auch eine Weile reichen, wirklich zufällig. Es gibt sogar eine Zeitung, vollständig veraltet. Jetzt kommt das erste starke Nachbeben. Bernhard schaut mal in der Schule , ob sehr viel zerstört ist. Nachmittags kommt eine junge verschreckte Kollegin vorbei und bleibt über Nacht. Sie wohnt in einem Hochhaus, es hat sehr geschwankt, der Mieter im Stockwerk über ihr ist von den Stößen auf den Boden gefallen. Hallelujah, um 5 Uhr nachmittags gibt´s wieder Strom, Telefon und W-Lan. Und Glotze und Radio natürlich. Jetzt erst sehen wir WIE schrecklich alles ist, wieviel kaputt ist, auch in Santiago. Wir in Vina und Valparaiso sind weitgehend glimpflich davongekommen, wir gehören noch zum Katastrophengebiet. Am Sonntag regnet es , die Nacht war unruhig, im Lauf des 27. Februar hat es 60 Beben gegeben. Die Nachrichten aus Concepcion und Umgebung sind schrecklich, ein Tsunami kommt , dort ist die Küste sehr flach, und überschwemmt alles. Leider hatte die Armada versehentlich Tsunami-Entwarnung gegeben. Plünderungen beginnen, der Zivilisationslack springt ab. Der Ausnahmezustand wird von der Präsidentin ausgerufen , zum Glück ,und jetzt können auch Soldaten eingesetzt werden, um die Bevölkerung zu schützen und weiter nach Überlebenden zu suchen.
Bei uns klingelt es im Lauf des Sonntags immer mal wieder, Freunde, Kollegen, kommen vorbei, die meisten haben noch kein internet, wir sind privilegiert, man kann die Verwandten und Freunde in Deutschland informieren.
Heute, am Montag beginnt wieder ein Stück Alltagsleben, bei uns jedenfalls, die wir sooo viel Glück gehabt haben . Morgen wird das Leitungswasser für zwei oder drei Tage gesperrt, is egal, kann man wirklich alles in Kauf nehmen.

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

die das Mutterherz wärmende Tochter wurde nicht über die Größe der Risse und mobile Waschbecken informiert, schämt euch! mir wird jetzt noch blümerant beim Anblick! Das Bier zum Sedieren war ja mal typisch und gleichzeitig klug. Merke: habe stets einen Vorrat an Bier für etwaige Naturkatastrophen im Haus! Gruß von der S aus B

Katharina Kerscher hat gesagt…

der Riesenriss wo die Ziegel durchschimmern ist auf dem Speicher zum Nachbarn, hab ich bloß so zum deko rein, son Scheiß machen alle Reporter

Anonym hat gesagt…

Oh, Gott, sind wir froh zu hören, dass es euch gut geht! Unsere Gedanken und Gespräche drehten sich natürlich nur um euch!
Würde gerne zum Aufräumen kommen! Schicke euch ganz liebe Grüße und einen Schwarm Schutzengel!

GudrunA. aus WM

Anonym hat gesagt…

Oder wäre euch, bzw. Bernhard, ein Kasten Dachs Dunkel lieber? Für die Nerven natürlich, weil die Notfalltropfen doch kaputt sind!

GudrunA

Seebee hat gesagt…

Ich wünschte, ich könnte bei euch sein und euch helfen - sei es mit Edelstoff, sei es mit Bachblüten, sei es mit staubfreier Klolektüre...
Beijocas
Co